Morgen mache ich’s anders: Prokrastination knacken mit Köpfchen

Morgen mache ich’s anders: Prokrastination knacken mit Köpfchen

Stell dir vor, du musst Steuererklärung machen – und plötzlich ist deine Wohnung blitzblank, dein Hamster hat ein neues Laufrad, und du bist Experte für mittelalterliche Burgen auf TikTok. Willkommen in der Welt der Prokrastination!

Prokrastination ist keine Faulheit. Vielmehr vermeiden wir aktiv unangenehme Aufgaben. Was unangenehm ist, erschließt sich uns dabei aber nicht gleich. Wir ertappen uns dabei, auch Aufgaben zu verschieben, die gar nicht so unangenehm erscheinen. Das sind sie aber dennoch, wenn auch auf einer tieferen Eben unserer Seele. Es kann sein, dass du sehr wohl Lust auf eine Aufgabe hast und sie irgendwie cool findest. Aber irgendetwas in dir schiebt diese Hemmung in den Vordergrund und schon kommt die Aufschieberitis. 

Körpersysteme im Widerspruch

Die Forschung ist sich weitestgehend einig: der präfrontale Cortex will planen, komplexe Aufgaben lösen, organisieren und priorisieren. Das ist, wenn du mir diese Definition erlaubst, der moderne Mensch. Das limbische System dagegen, ein uralter Teil des Gehirns, ist dein Antrieb und deine Blockade zugleich. Es ist für einige unserer Grundelemente zuständig, wie Nahrung, Emotionen, Verdauung, Fortpflanzung. 

In diesem teils widersprüchlichen Welten liegt dein alltäglicher Kampf. Ein Kampf, den du nicht bewusst wahrnimmst, der aber gerade im Aufschieben spürbar wird. Und wer da häufig gewinnt, kannst du dir sicherlich vorstellen. Wie sieht das in der Praxis aus?

Du suchst auf TikTok oder YouTube eine fachliche information, damit du bei einer anstehenden Aufgabe weitermachen kannst. Und plötzlich ertappst du dich, wie du in der letzten Stunde Katzenvideos angeschaut hast. Dumme Sache. 

Aber warum sabotieren wir uns selbst so häufig ohne es zu bemerken? Und wie schaffen wir es, aus „wird morgen erledigt“ zu einem „Jetzt oder nie“ zu kommen?

Belohnung als Anreiz

Im Gehirn gilt die Regel: kurzfristige Belohnung geht vor langfristiger. Wenn uns also die Katzenvideos für den Moment ein gutes Gefühl geben, dann giert unser Gehirn genau danach. Dass wir langfristig vielleicht viel mehr rausholen könnten an guten Gefühl oder an Erfolg, das hat weniger Relevanz. Diese Sofortbelohungen sprechen eben genau dieses limbische System an. Bei Erwachsenen ist es eben wie bei einem Kind, das lieber Schokolade als Brokkoli wählt. Nur bei uns eben mit mehr Excel. Und dann kommt oft noch ein Problem hinzu, das eigentlich gar keines ist: Perfektionismus. Der scheint erstmal gut zu sein. Denn mit ihm machen wir die Dinge besonders gut – perfekt eben. Aber genau das lähmt uns auch. Was machen wir schon wirklich perfekt? Und weil wir wissen, dass nichts wirklich bis ins kleinste Detail gut wird, haben wir genau davor Angst. „Wenn ich es nicht perfekt machen kann, dann mache ich es lieber gar nicht“. So oder so ähnlich spricht die innere Stimme zu uns. Es ist keine Ausrede, sondern die logische Schlussfolgerung eines Perfektionisten. 

Und dann lässt sich noch ein wichtiger Aspekte des Aufschiebens erkennen: Jean-Paul Sartre wird dieses Zitat zugeschrieben: „Wir flüchten vor der Freiheit, Entscheidungen zu treffen“. Und genau das kann Prokrastination verstärken. In einer Welt voller Ablenkungen (Soziale Medien etc.) und einer neuen Lebens-Geschwindigkeit und Aufgabendichte ist es vielleicht das neue „Normal“ aufzuschieben. 

Was kann ich dagegen tun?

Mach einfach den ersten Schritt. Und glaube mir, das klingt leichter als es ist. Denn es geht ja genau darum, dass wir diesen ersten Schritt aufschieben. Auch weil wir genau wissen, dass danach der zweite und der dritte zu tun ist. Wenn wir aber versuchen, diesen ersten Schritt so klein wir möglich zu halten, dann könnte es gelingen. Und da kann es hilfreich sein, ein Zeitlimit zu setzen. Nehme dir also nur für zwei oder fünf Minuten vor, etwas Produktives zu tun. Du musst dein Fachbuch also nicht gleich komplett aufsaugen. Lese dieses wichtige Fachbuch lieber nur wenige Minuten am Tag. Wenn dieser kleine Schritt erfüllt ist, dann wende dich gerne wieder allen Ablenkungen zu, die dir so viel Freude bereiten (Katzenvideos). 

Oder erlaube dir eine Kopfstandmethode: Mit „Ugly First“ nimmst du dir vor, die ersten Seite deines Konzeptes oder deiner Arbeit gerne schlecht zu schreiben. Denn wir haben gelernt: Perfektion ist oft der Feind des Anfangs. Und erst am nächsten Tag korrigierst du und bringst die Perfektion in deine Ideen. Durch diese Teilschritte erlaubst du dir einfach mal den Weg zu gehen. 

Und wenn die Angst vor dem Versagen dennoch zu groß ist, dann frage dich „was kann im schlimmsten Fall geschehen?“. Du wirst sicher überleben, es wird nicht zur Kündigung kommen und dein Partner wird dich nicht ersetzen. Also schlimme Folgen stecken in dem „einfach mal anfangen, wenn auch nicht perfekt“ gar nicht drin. 

Und falls du noch einen kleinen Schuss Motivation für deine Aufgabe brauchst, dann lege das ‚Warum‘ fest. Wenn du eine Aufgabe übernimmst – die du am liebsten vor dir herschiebst – dann mache dir die positiven Folgend bewusst. Vielleicht bekommst du nach Abschluss des Projektes etwas mehr Gehalt. Vielleicht ist es nur eine saubere Wohnung und die Gäste bewundern dich dafür. Der Urlaub kann nach der Steuererklärung mit der erwarteten Erstattung endlich gebucht werden. Es gibt sicherlich viele schöne Gründe, die du dir einfach nur immer wieder bewusst machen willst. Damit sprichst du dein limbische System wieder etwas mehr an. 

Prokrastination ist jeden falls kein Charakterfehler sondern ein Signal. Und auf Signale sollte man hören. Sie sagen dir, was du wirklich brauchst im Leben. Ganz gleich ob es Struktur, Mut oder einfach nur eine Tasse Kaffee und ein Katzenvideo ist.