Fehlende Wertschätzung ist ein großes gesellschaftliches Problem. Gerade in Corona-Zeiten wurde dies deutlich. Erst da wurde uns klar, wie wichtig die Rolle der Pfleger, Lehrer, Erzieher und vieler weiterer Gruppen für uns ist. Man klatschte Applaus von den Balkonen – ein wirklich bizarres Schauspiel, das den Protagonisten in diesen Berufen nichts brachte, außer vielleicht kurzfristige Anerkennung. Sehr kurzfristige. Denn bereits heute hat sich diese Anerkennung wieder in Desinteresse verwandelt.
Doch warum ist das so? Wohin verschwindet diese Wertschätzung sobald die Krisensituation wieder verflogen ist? Und was ist Wertschätzung überhaupt? Oft wird sie vollkommen falsch definiert. Wertschätzung ist eben nicht nur der Respekt für die Leistungen einer Berufsgruppe. Vielmehr ist es die Anerkennung der Einzigartigkeit der Anderen – unabhängig von Leistung und Status.
Wertschätzung fördert die seelische Gesundheit
Zudem ist sie ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Sozusagen der soziale Klebstoff, der Beziehungen stärkt. Dies gilt im privaten, wie im beruflichen Umfeld. Wertschätzung lässt sich in ganz unterschiedlichen Facetten spürbar machen. Als verbaler Aspekt geht es um Lob, Dank und ehrliches Feedback. Aber auch auf nonverbaler Ebene wird Wertschätzung spürbar: in der Körpersprache, der Aufmerksamkeit, im Augenkontakt oder einem Lächeln. Und für uns sehr häufig spürbar ist eine strukturelle Wertschätzung durch eine faire Bezahlung, Mitbestimmung und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen. Gerade darin liegt ein großer Ansatzpunkt für Motivaton, Produktivität und Loyalität. Denn hier wird – und das gilt insbesondere für Führungskräfte – der Unterschied klar zwischen oberflächlichem Lob und echter Wertschätzung.
Denn all das führt zu einer hohen psychologischen Wirkung. Das Selbstwertgefühl steigt, fördert die Resilienz und insgesamt die seelische Gesundheit. Denn spürbare Wertschätzung regt das Belohnungszentrum im Gehirn an (Dopamin wird ausgeschüttet) und wirkt damit meist besser als rein monetäre Belohnung.
Es gibt auch Hindernisse
Doch es gibt Hindernisse: Zeitmangel, Stress, fehlende emotionale Intelligenz oder Machtgefühle. Diese Liste ist nicht abschließend, zeigt aber, dass ein wertschätzendes Miteinander ein gewisses Umfeld benötigt, damit es sich entfalten kann. Ein Umfeld, für das ich sorgen muss – oder für das ich manchmal auch Kämpfen muss. Wertschätzung wird zu häufig nur für besondere Leistungen vergeben. Klar, in unserer Leistungsgesellschaft erscheint das erstmal sinnvoll. Denn der Wert eines Menschen wird oft über seine Funktion definiert, oder besser gesagt über sein Output.
Dabei darf für Wertschätzung keine Leistungsvoraussetzungen geben. Das Widerstrebt der Grundidee völlig. Und in einer Zeit voller digitaler Errungenschaften wird Wertschätzung in seinem positivsten Sinne immer wichtiger, da es die Balance zwischen virtueller und echter Begegnung erst spürbar macht.
Wie also wertschätzend sein?
Genug erläutert und definiert. Jetzt stellt sich die Frage, wie ist man den wertschätzend? Was muss ich da konkret machen? Und wie so häufig sind es zahlreiche Kleinigkeiten, die ein Gesamtbild ergeben.
„Was schätze ich an dieser Person wirklich“, ist eine gute Frage, um zu einer authentischen Wertschätzung zu gelangen. Und dann erfolgen regelmäßige Rituale. Immer wieder „Danke“ sagen – ernstgemeint und mit tiefem Blick in die Augen. Eben nicht nur beiläufig. Eine kleine persönliche Notiz oder echte Anerkennung in einem Teammeeting. Daran wird schon erkennbar, die Ansatzpunkte sind vielfältig und wenig aufwendig.
Wenn Du Führungskraft bist, dann fragst du künftig vielleicht nicht mehr „wie geht es dir?“. Den ganz ehrlich: die Antwort wolltest du noch nie wirklich hören… Frage stattdessen „wie geht es dir in diesem Projekt?“. Da wird konkret spürbar, dass du echter Interesse am Menschen hast. Du siehst ihn als Menschen und nicht als Funktionsträger.
Auch Feedback gehört zur Wertschätzung. Wenn dein Partner den Konflikt mit den Kindern gemeistert hat, dann gehe nicht einfach drüber und betrachte dies als Selbstverständlichkeit. Sondern sage ihm beispielsweise: „Du hast diese Situation mit viel Ruhe und Klarheit gelöst. Das beeindruckt mich.“. Der andere wird erstaunt sein, wie aufmerksam du ihn in diesem Moment wahrgenommen hast. Und wie mutig du bist, ihm das Geschenk dieses Feedbacks zu machen.
Zeit ist eines der wichtigsten Aspekte unseres Lebens. Als Führungskraft kannst du Zeit schenken, in dem du jemandem außerhalb der formellen Gespräche zuhörst. Mal eben eine Tasse Kaffee holen und dann ein paar Minuten quatschen, ohne Stress und Folgetermin. Und ohne den Druck, in diesem Gespräch etwas erreichen zu müssen. Auch privat ist Zeit ein Geschenk. Das Handy auf die Seite legen, beim Sprechen in die Augen schauen und die Gefühle des anderen wahrnehmen, während er etwas erzählt. All das signalisiert: „Du bist mir wichtig“.
Eine wertschätzende Sprache ist vielleicht eines der schwereren Vorhaben. Denn wir sind sprachlich von Kindheit an geprägt und schaffen es nicht gerade auf die schnelle, uns hier anzupassen. Aber auch hier sind es Kleinigkeiten, die dann vom anderen spürbar werden. Statt „das hast du aber gerade so hinbekommen“, sagst du vielleicht „Ich sehe, wie viel Mühe du dir gegeben hast – danke dafür“. Verurteile nicht, sondern honoriere die Anstrengung – auch wenn sie nicht zum Erfolg geführt hat.
Mitbestimmung ist ein wichtiger Aspekt von Wertschätzung. Das klingt vielleicht komisch – aber nur auf den ersten Blick. Denn Mitbestimmung gibt es nicht nur im beruflichen Kontext. Auch im privaten ist es toll, mal nach seiner Meinung gefragt zu werden. Oder gebeten zu werden, mit zu entscheiden. Die Verantwortung zu teilen. Aber nicht um den Schmerz des Scheiterns zu teilen, sondern um den Erfolg gemeinsam auskosten zu können. Denn hierbei wird Erfahrung und eine neue Perspektive genutzt – eine echte Win-Win-Situation.
Am Ende gilt: kleine Aktionen mit großer Wirkung.
Hier beginnt Wertschätzung
Achja, und noch etwas. Vielleicht das wichtigste in dieser ganzen Thematik:
Wertschätzung hat einen klaren Ausgangspunkt. Funktioniert dieser nicht, dann wird sie nicht anwendbar sein. Wertschätzung beginnt bei mir selbst. Eine Art Selbstwertschätzung also. Wenn ich mich und mein Handeln nicht wertschätze, dann fehlt mir die Fähigkeit, andere wert zu schätzen, vollkommen.
Insofern gilt: Achte dich und achte auf dich. Alle genannten Regeln darfst du und musst du bei dir selbst anwenden. Dann klappt das mit der Wertschätzung anderer automatisch.