Manche Menschen wirken wir Felsen in der Brandung – bis man entdeckt, dass auch Steine Risse haben. Diese äußere Stärke, mit denen Andere oft strahlen und uns in ihren Bann ziehen, ist nicht immer Fassade. Aber im Inneren liegt eine Verletzlichkeit, die wir meist gar nicht wahrnehmen. Dennoch aber glauben wir, dass diese Starken Persönlichkeiten unverletzlich sind. Und so behandeln wir sie vielleicht auch. Aber: wer kümmert sich um die, die immer für alle da sind? Denn: selbst Superhelden müssen mal den Umhang in die Wäsche werfen.

Der Mythos unverwundbarer Menschen

„Starke brauchen keine Hilfe“. Das würde ich als die geltende gesellschaftliche Erwartung bezeichnen. Doch darin liegt die Gefahr, dass wir diese Menschen oft übersehen. Gerade dann, wenn diese Unterstützung brauchen. Wo sind die Starken denn unterwegs in unserer Gesellschaft? Überall. Wir finden Sie still und leiser in der Pflege. Dort werden sie geliebt für ihre Hingabe für andere. Aber wer schaut nach ihnen? Sie sind auch im Management. Dort verdienen Sie viel Geld und tragen Verantwortung für Beschäftigte. Wir beneiden diese starken Persönlichkeiten oder hassen sie vielleicht sogar. Denn was leisten sie schon großes? Wir finden sie aber auch zuhause bei den Kindern. Dort wo die „neuen“ Menschen unserer Welt vorbereitet werden auf Krisen und Konflikte, auf Erfolg und sozialem Beitrag – oder einfach nur auf eine gutes Miteinander. Die Mütter und Väter, die ihren Dienst so vollbringen, werden ebenfalls nicht gesehen.

Bei ihnen geht man davon aus, dass sie schon selbst ihre Resilienz pflegen, ihren Selbstschutz stärken. Und ja, sie alle sind äußerlich stark. Sonst würden sie diese Aufgaben nicht erfüllen können. Doch wer blick in ihr Inneres?

Das stille Zerbrechen

Ein Baum, der außen kräftig wirkt, aber innen morsch ist…. Hast du so einen schon mal gesehen. Er strahlt noch – vielleicht zum letzten mal in seinem Lebenszyklus – mit den wundervollen Blättern. Er träg – nur noch dieses einen Jahr – saftige Früchte. Doch es kommt der Tag, an dem der Saft im Inneren nicht mehr die Äste erreicht. Der Strom an Lebenskraft versiegt.

Wie dieser Baum, der nicht mehr zu retten scheint, gibt es auch bei uns diese Erschöpfung. Sie liegt in den emotionalen Bereichen unseres Daseins. Und das schlimme ist, dass gerade die Starken gelernt haben, diese Schwäche zu überstrahlen. Der Zustand bleibt deshalb für andere zu lange unbemerkt. Denn sie ist nicht laut. Sie ist schleichend. Sie versteckt sich hinter Begriffen wie „Durchhänger“ oder „brauch mal wieder Urlaub“. Eine schlimmere Verharmlosung könnte es kaum geben.

Gerade die Starken bitten selten um Hilfe. Es ist vielleicht ihr Selbstbild oder ihr Rollenverständnis. Bei anderen mag es auch der Stolz sein, der sie hindert. Es sind eben diese Menschen, die dir beim Umzug helfen und am nächsten Tag alleine ihre eigene Couch hochtragen.

Es hilft dem sozialen Miteinander, auch mal auf die Starken zu achten

Wenn eine Gemeinschaft gerade auch ihre tragenden Säulen stützt, dann hilft das allen. Den schwachen zu helfen ist zweifelsohne eine Pflicht. Aber wer sollte für diese Unterstützungsmöglichkeiten sorgen, wenn auch die Starken irgendwann nicht mehr können?

Dabei ist es wichtig, auf die subtilen Signale zu achten. Verändert sich das Verhalten der immer so Starken? Lachen sie vielleicht weniger? Oder ziehen sie sich zurück? Dann ist wertschätzende Unterstützung gefragt. Zuhören, ohne gleich eine „Rettungsmission“ zu starten. Oder auch die Akzeotanz, dass es ihnen schwer fällt, Hilfe anzunehmen. Sie haben es nie geübt und kennen diese Mechanismen des „sich-helfen-lassens“ einfach noch nicht.

Es ist eben ein bisschen wir im Teamsport: auch der Kapitän braucht mal Unterstützung und kann ohne die anderen nichts leisten. Auch er benötigt mal eine kleine Auszeit vom Stark-sein. Und vielleicht muss auch er mal ausgewechselt werden.

Es nutzt auch unserer persönlichen Entwicklung

Die allermeisten würden sich als empathische Wesen bezeichnen – und sind es doch nicht so recht. Denn Empathie ist wie ein großer Muskel. Wer auf die Stärken achtet, trainiert auch seinen Blick für feine emotionale Signale. Nicht zuletzt muss man erkennen, dass Stärke und Verletzlichkeit keine Pole unserer Persönlichkeiten sind, sondern eng verknüpfte Aspekte. Das eine wird es nicht ohne das andere geben.

Wer immer „stark spielt“, kann kaum achtsam sein. Diesem wird einiges im Leben entgehen. Erst durch Achtsamkeit wird man weniger (ver)urteilend. Denn es ist ein bisschen wie mit einem WLAN. Sie funktionieren still im Hintergrund. Aber wenn sie ausfallen, merkt man erst, wie sehr man sie braucht.

Wie wir Starke im Stillen unterstützen können

Ehrliches Interesse ist schon mal ein guter Anfang. Dabei muss keine Krise offensichtlich sein oder gar heraufbeschwört werden. Den Starken einfach mal in seiner tiefgründigen Geschichte annehmen. Denn die wird er haben. Das liegt daran, dass Stärke oft auch als Schutzschild dient. Dahinter verbergen sich spannenden oder traurige Storys. Höre sie dir mal an.

Aber auch Räume zu schaffen, in denen die Stärke weiter wachsen darf. In der sie gesehen und wertgeschätzt wird. Das führt dazu, dass sie kanalisiert wird in ein gutes Miteinander. Dazu gehört auch, Anerkennung auszusprechen. Dabei muss gar keine große Leistung vorausgehen. Es ist oft die allgegenwärtige Präsenz der Stärke, die gut tut.

Und dabei hilft zum Beispiel kein oberflächliches „Alles klar?“, sondern ein ehrliches Nachfragen. Auch die Teilhabe an Aktivitäten, bei denen eben keine Leistung gefragt ist, kann Wunder bewirken. Einfach mal Mensch sein ohne etwas beweisen zu müssen.

Mein Fazit

Stärke kann und darf kein Dauerzustand sein. Sie ist eine Momentaufnahme und ein Wechselspiel. Wire sind alle irgendwann stark und irgendwann verletzlich. Und beides verdient Hochachtung und Respekt. Aber auch Aufmerksamkeit. Und wer auch die Starken im Blick behält, der baut eine Gemeinschaft, die wirklich trägt.

Manchmal brauchen selbst die Stärksten einfach jemanden, der nur den Kaffee hält – ohne zu fragen, warum.